Sprechen wir einmal nicht von Kunst, sprechen wir besser davon, dass Formen Ausdruck und Träger spezifischer Energien sein können. Erinnern wir uns daran, dass das wirklich Erstaunliche an Bildern doch dies ist: dass sie in der Lage sind, emotional-körperliche Reaktionen hervorzurufen. Bedenken wir darüber hinaus gründlich jene eigentümlichen und nicht selten überraschenden, letztlich ganz und gar unbe­re­chenbaren Kräfte, die ein Bild verströmen kann. Rufen wir uns zudem ins Bewusstsein, dass all diejenigen, die Bilder machen, solange sie an ihnen arbeiten, in einer scheinbar verkehrten Welt leben, in der sich alles Formale zum Inhaltlichen und alles sogenannte Inhaltliche zum bloß Formalen wendet. Wenn wir uns dann auch noch darauf einigen könnten, dass Bilder niemals die äußere Realität unmittelbar wiedergeben, dass sie die Welt nicht illustrieren, sondern diese überhaupt erst konstituieren, dann kommen wir ihrer Bedeutung vielleicht auf die Spur.

Was sich über Bilder sagen lässt, das gilt mit wenigen Einschränkungen auch für die Gegenstände, die Ernst Stark seit vielen Jahren fertigt. Abseitige Dinge zumeist, die ihm auf- oder zu­gefallen sind. Drei ineinander verschränkte Glieder einer Kette beispielsweise, das Innen­leben einer Kuchenform oder eine frei stehende Badewanne. Was lässt sich über diese Skulpturen sagen? Wie wollen sie angeschaut werden? Soll man überhaupt über sie reden? Reicht es nicht, wenn man einmal darauf hinweist, dass es sie gibt und wir sie für beachtenswert halten? Schadet das Sprechen den Werken am Ende gar?

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort,
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel
mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren:
Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Rilkes Sorge scheint nicht ganz unbegründet. Denn, so fragen wir uns skeptisch: Lässt sich überhaupt ein tiefes, auf Erfahrung begründetes Wissen über Bilder in Worte fassen? Andeuten kann man vielleicht das eine oder andere, adäquat ausdrücken jedoch nur schwer. So bleibt das Verhältnis von Wort und Bild kompliziert. Um das Bild in seinen Besonderheiten zu erleben, benö­tigen wir also eine Form des Wissens, die das Besondere des Werkes im Akt des Betrachtens anerkennt und wahrt, eine Form, die das Bild nicht zu erklären und sein Geheimnis nicht zu beseitigen sucht. Denn das, was ein Bild letztlich ausmacht, ist eben nicht das, was sich in Worte fassen lässt, sondern das, was sich zunächst einem auratischen Spüren offenbart.

Haben wir aber erst einmal das Besondere des Werkes erkannt, dann sind wir dankbar, dass da noch einer ist, der seine Formensprache sucht und entwickelt. Unbedingt brauchen wir die Schatzsucher der Form, wir brauchen diejenigen, die nichts als den richtigen Klang der Farben und Formen im Sinn haben. Wir brauchen die einen freien und offenen Geist atmenden Bilder, wir brauchen das zweckfreie Experiment der künstlerischen Magier und das dynamische Mit- und Durcheinander ihres Metiers. Wir wollen nicht ohne jene herausfordernden Bilder leben müssen, die den Geist beflügeln, wollen nicht ohne sinnliche, anschauliche Gegenstände zu denken versuchen. Vielleicht möchte auch der Betrachter der Abbildungen in diesem Buch den zarten Ton der bemalten Skulpturen und Reliefs von Ernst Stark bald nicht mehr missen, vielleicht schätzt er bald die souveräne Art der Arbeiten, ihren verhaltenen Klang, ihre tektonische Frische, das tiefe Rot der Fruchtstände des Aronstabs, das Moosgrün des Bodens, das Blau der Hyazinthenstände, El Grecos Männerportraits im Relief, die Felslandschaft vor einem Schweizer Tal, das Votivbild mit hundert Augen, die einsame Spaziergängerin am Strand, den abgebrochenen Ast oder den Kopf des Ertrinkenden im Ruderboot.

 

Andreas Bee

on profite du temps présent (la baignoire) , 2007Platanenholz, Aquarellfarbe7,8 × 16 × 10,3 cm
on profite du temps présent (la douche extérieure) , 2007Platanenholz, Aquarellfarbe11,6 × 12,6 × 10,2 cm
Ohne Titel, 2005Lindenholz, Aquarellfarbe 14,4 × 22,0 × 15,8 cm
Im Schweizertal, 2005Lindenholz15,5 × 26,2 × 1,8 cm
Ohne Titel, 2002Pappelholz, Aquarellfarbe14 × 24,1 × 2,2 cm
Ohne Titel, 2002Pappelholz, Aquarellfarbe14 × 24,1 × 2,2 cm
Ohne Titel, 2005Birkenholz, Aquarellfarbe8,0 × 29,5 × 12,5 cm
Ohne Titel, 2003Lindenholz, Aquarellfarbe ca.5,4×12×9cm
Ohne Titel, 2004Pappelholz, Aquarellfarbe 5,5 × 14 × 10 cm
Ohne Titel, 2002Pappelholz, Aquarellfarbe11 × 15 × 4 cm
Ohne Titel, Karin, 2009Eberesche, Aquarellfarbe4,3 × 11,9 × 9,5 cm